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  650 Jahre Ersterwähnung Lateinschule

  Grußwort - Herr Dr. Rademacher


Unsere Schule - eine persönliche Reminiszens

650 mehr oder weniger ereignisreiche Jahre, liebes Friedrich Wilhelm Gymnasium und später nach unserem verehrten Landsmann Theodor Fontane benannte Schule in unserer schönen Heimatstadt Neuruppin sind seit Deiner Gründung an Dir vorübergezogen, Du unvergessene Pflanzstätte unserer Bildung, Veteranin unter den Schulen in unserem Lande. Anläßlich dieses bemerkenswerten Jubiläums erinnern uns dankenswerterweise daran die Veranstalter des diesjährigen Abituriententreffens mit seinen Feierlichkeiten und persönlichen Begegnungen. In ihren Gedanken und Erinnerungen aber sind wohl die meisten von uns ehemaligen Schülern, wohin das Leben uns auch geführt haben mag, ohnehin mit dir, liebe Jubilarin, eng verbunden geblieben. so manches Mal erscheinst Du, so geht es mir jedenfalls zuweilen, sogar in meinen Träumen und in meinen sehnsüchtigen Verlang nach der verklungenen Jugendzeit.

Und ich sitze dann wieder in Gedanken, im Traum an meinem alten Platz in der Klasse, umgeben von meinen ehemaligen Mitschülern und Lehrern, die mir noch alle klar vor Augen stehen, und befürchte unter Ängsten nach den nicht gelernten Englischvokabeln oder nicht zum Aufsagen des unter Mühen auswendig gelernten Gedichtes aufgefordert zu werden. Oder ich erheitere mich nur allzu gern im Gespräch mit anderen "Ehemaligen" über die von uns mit Schalk und witz nicht gerade zum Vergnügen der Pauker herbeigeführten besonderen "Ereignisse", die uns, ähnlich wie in dem ganze Schüler - wie Seniorengenerationen bezaubernden Buch von der "Feuerzangenbowle" erzählt wird, das sich zuweilen eintönig müde dahinziehende Pennälerdasein so manches Mal zu würzen vermochten. Wer erinnert sich nicht auch an die diebische Freude, die wir empfanden, wenn uns wieder mal ein kecker Gag gelungen war. Oder aber auch an die mit Bangen verbundene Mathematik - oder Lateinarbeiten, an die Aufsätze zu Themen, zu denen man absolut keinen Zugang finden konnte? Das waren trübe Stunden, in denen wir über unser "bedauernswertes Schicksal" unter der unerbitllichen Dominanz der Lehrer räsonierten. Wir waren aber natürlich nicht so dumm, daß wir im Grunde nicht eingesehen hätten, daß die um das Beste für uns bemüht waren und unserer aufmüpfigen Jungenhaftigkeit gegenüber meistens durchaus eine gewisse Nachsicht walten ließen, wohl eingedenk, meinte ich, diesbezüglicher Erfahrungen in der eigenen Jugendzeit.

Unseren frischen Lebensmut beeinträchtigten letzten Endes auch die unangenehmsten von der Schule eingeforderten Pflichten nicht. Schließlich wurden wir mit allem fertig, erhielten schließlich 1944 das für die Kriegszeit gültige "Zeugnis der Reife" und konnten unsere Reise ins Leben antreten was für unseren Jahrgang nach einem noch vorher unter Beteiligung der Schule erfolgten einjährigen Einsatz als Marinehelfer allerdings zunächst zur einberufung in den damals für uns obligatorischen Kriegsdienst führen sollt, dem zwei meiner mir besonders nahestehenden Klassenkameraden, Hans Deichmann und Wolfgang Rönnefahr, noch zum Opfer fallen sollten. Einige aus meiner Klasse, auch etliche ehemalige angehörige anderer und selbst auswärtiger Schulen fanden sich dann nach dem Kriege zusammen, um an unserer alten lieben Gottlob in ihrem baulichen Zustand unversehrt erhalten gebliebenen Penne, an der übrigens neben neuen noch einige der alten uns vertrauten Lehrer wirkten, 1946 das nun wirklich gültige Abiturientenexamen abzulegen und zwar nunmehr unter neuen gesellschaftlichen Bedingungen, vor allem nunmehr in Frieden.

Was aber machte uns, nach meiner persönlichen Einschätzung, unsere Schule in dankbarer Erinnerung so lieb und teuer? Sie war eine der drei Säulen unserer Erziehung und Bildung und stand neben dem damals meist noch um uns in der Tat besorgten Elternhaus und dem nationalsozialistischen Staat mit seiner kompromißlos wahrgenommenen übermächtigen Dominanz im öffentlichen Leben. Mit diesen beiden mußte sie sich als dritte Kraft auseinandersetzen und sich vor allem gegn die üblen Anmaßungen der Naziideologie zu behaupten trachten. Das tat sie auch so weit sie es wohl noch konnte, wenn auch Direktor und ein (einige?) lehrer der Nazipartei angehörten, was übrigens in offen bekundeter Effektivität erstaunlicherweise von uns Schülern nicht wahrgenommen wurde.

Der frühere Evangelische Berlin - Brandenburgische Bischof Albrecht Schönherr, einst Schüler des Gymnasiums, schrieb in seinen Erinnerungen, unter den Neuruppiner Bürgern hätte unsere Schule den Ruf gehabt, fast so etwas wie eine Universität zu sein. Von diesem Ruf der besonderen Gelehrsamkeit zehrte sie zu meiner Zeit noch immer, und ich weiß noch, wie ehrfürchtig ich 1937 als künftiger Sextaner das repräsentative und würdevoll die Stadtmitte bestimmende Gebäude mit seiner mir allerdings damals noch nicht verständlichen wegweisenden Schriftzeile Civibus aevi futuri betrat und wie stolz ich war, nun künftig auch dazu zu gehören, bis zu ihrer staatlich verfügten Abschaffung im ersten Jahr noch ausgestattet mit einer je nach der Klassenstufe farblich unterschiedenen schülermütze. Als ehrwürdige Anstalt der Jugendbildung warst du, liebe Jubilarin, so weit im damaligen Staat noch möglich, der humanistischen Tradition verpflichtet.

Jedenfalls lebte in Dir einschließlich des uns als so bdeutsam historisch anmutenden Altväterinventars Deiner Ausstattung, zu der horrible dictu sogar Spucknäpfer für das Lehrpersonal gehörten, noch immer etwa vom Geist des ehemaligen Gymnasiums, in dem einst Latein und Griechisch Hauptanliegen und das an der klassischen Antike genährte humanistische Bildungsideal geistige Grundlage seines Wirkens, ja seiner gesamten Existenz gewesen waren. Allerdings muß eingeschränkt vermerkt werden, daß das in einem Gymnasium wohl längst als klassisch geltende Wort von der "mens sana in corpore sano" seiner Flügelkraft bei uns beraubt war, da der daraus abgeleiteten Forderung neben der geistigen auch einer musischen wie körperlichen Bildung nicht mehr nachgekommen werden konnte angesichts der dafür fehlenden Lehrkräfte. Die Nutzung der Boote des ehemaligen gymnasialen Rudervereins boten einen indessen reizvollen, doch nicht von allen freudig begrüßten Ersatz. Die jüngeren vermutlich meist wohl eher dem NS- Regime zugeneigten Lehrer wurden gleich zu Beginn des unseligen Krieges zur Wehrmacht eingezogen.

Die zurückgebliebenen des "Lehrkörpers" stammten vornehmlich noch aus der bis 1938 reichenden gymnasialen Zeit und paßten sich, wie ich glaube behaupten zu dürfen, nur so weit ihnen wohl unumgänglich schien, den Bedingungen "der neuen Zeit" an. Das wurde uns mehrfach bei einzelnen vorsichtig, zuweilen sogar ziemlich offen geäußerten Bemerkungen einiger Lehrer zu einzelnen Aspekten des bestehenden politischen Systems bewußt, die von uns, die wir ja an sich unter dem beherrschenden Einfluß der Hitlerjugend standen, anstandslos respektiert und nicht etwa nach außen hin weitergetragen wurden. Wer nicht bereits von Hause her oder anderweitig für die Naziideologie eingenommen wa, wurde jedenfalls durch unsere Schule nicht dafür gewonnen. Das darf als ein bemerkenswertes Zeichen in einer schweren Zeit verstanden werden. Die meisten unserer Lehrer haben wohl selbst trotz der staatlich verfügten inhaltlichen Vorgaben und Eingrenzungen im Lehrstoff und im Lehrplan sich redlich darum bemüht, uns eine auf Wahrhaftigkeit beruhende Grundsubstanz an Wissen und bildungsgeprägtem Anstands zu vermitteln.

Offiziell für die Schule damals vorgeschriebene Verhaltensweisen im Umgang miteinander und im öffentlichen Auftreten ganz allgemein konnten natürlich nicht vermieden werden, so etwa der Hitlergruß zum täglichen Beginn des Unterrichts, der unzweideutig zu erbringende Respekt gegenüber Äußerungen des Staates und seiner Veranstaltungen, öffentlich geäußerte Kritik an den zunehmend wahrheitswidrig propagierten Kriegsberichten, die Behandlung etlicher dem Umgeist der Nazis besonders verpflichteter Unterrichtsstoffe. Besonders brisante Themen wie antisemitismus. Rassenwahn, die angeblich humane Moral von der "rassehygienisch2 begründeten "Ausmerzung unwerten Lebens" wurden von dem dafür hauptsächlich zuständigen lehrer, Studienrat Hetge, äußerst distanziert und ganz gewiß nicht im Sinne der Auftraggeber behandelt. Im Geschichtsunterricht haben wir, wie auch immer das zustande gekommen sein mag, das 20. Jahrhundert und damit auch den sonst so glorifizierten Aufstieg der Hitlerpartei nie erreicht.

Unsere Schule soll hier nicht, wie es für den einen oder anderen vielleicht so klingen mag, in einem verklärten Licht gesehen, als ein im Grunde friedliches Idyll in einer sturmumtobten Umwelt gewertet werden. Sie war natürlich wie alle anderen auch eine Schule im nationalsozialistischen Staat und unterlag allen damit verbundenen Pflichten und Zwangsmaßnahmen, deren sie sich nur schwerlich erwehren konnte. Wie sie sich indessen damit auseinandersetzte und wie sie die Jungen ihr anvertrauten Menschen, also uns, damals noch vor dem Schlimmsten zu bewahren wußte, erscheint mir als bemerkenswert. Ihre an den soweit damals noch lebendigen historischen humanistischen Werten orientierte Bildungsarbeit in einer dafür durchaus nicht empfänglichen Zeit und Umwelt verdient trotz mancher gewiß nicht zu übersehender Einschränkung respektvolle Anerkennung und Dankbarkeit. Ich empfinde das so.

Also letztlich so etwas wie eine "Besonnte Vergangenheit", wie der einst bekannte Arzt Karl Ludwig Schleich seine Erinnerungen benannte? Wohl doch nicht so. Es ist verständlich, daß man im höheren Alter, wenn einem nicht ein arges Schicksal beschieden war, sich seiner Jugendzeit gern erinnert und dabei manches durch die rosarote Brille der Verklärung gesehen so zurechtrückt, daß man weniger Erfreuliches einfach übersehen kann. Allerdings, wenn solche Erinnerungen für andere mitteilungswert sein sollen, darf dei grundlegende Wahrheit dabei nicht aus den Augen verloren werden. Und hier liegt natürlich auch unser Problem. Unsere doch im Ganzen recht angenehm verlaufene Schulzeit, konnte und kann aus dem Strom unserer deutschen Geschichte nicht ausgeklammert werden. Zwar wußten wir, damals von der Gerechtigkeit "unserer Sache" überzeugt, von den Kriegstaten der wehrmacht begeistert und von Deutschen begangenen Verbrechen, die schließlich auch in unserem Namen begangen wurden.

Obgleich wir persönlich daran Gottlob - noch - nicht beteiligt waren, können wir uns als Angehörige unseres volkes nicht von dessen Schicksal, also auch nicht von dessen Schuld separieren oder sie aus unseren Erinnerungen einfach streichen. Das wäre nach meinem Empfinden unredlich. So liegt über ihnen doch ein im Oberschwang der Gefühle zwar wohl nicht immer wahrgenommener, indessen aber nicht aufzuhebender dunkler schatten, der das Sonnenlicht über dem weiten Bogen unserer Erinnerungen seines vollen Glanzes beraubt. Dessen sollten wir eingedenk sein, auch wenn wir die freudige und dankbare Erinnerung an unser relativ ungetrübtes Jungenleben in der damals äußerlich heilgebliebenen, doch vom Kriegsgeschehen durchaus nicht unberührten unvergeßlich schönen Heimatstadt Neuruppin nicht in Frage stellen wollen.

Das einst schon viele Schülergenerationen vor uns ermunternde und nach wie vor gültige Motto "civibus aevi futuri", unter dem wir einst erwartungsvoll und mit besten Vorsätzen als junge Eleven der Bildung erstmals unser traditionsreiches Gymnasium betraten, möge in Zukunft auch für unsere Zeit, für Schule und Lehrkräfte eine Verpflichtung sein, ihre Bildungs- und Erziehungsarbeit im vollen Bewußtsein der damit verbundenen Pflichten und, so steht zu hoffen, auch in Freuden zu erfüllen.

Dr. Hellmut Rademacher

 
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